Mittwoch, 25. Dezember 2013

Schöne Bescherung



Im Grunde ist Weihnachten doch nichts anderes als ein einziges Pulverfass, na sagen wir, zumindest ein Überraschungs-Ei: Wenn die in aller Herren Länder verstreut lebenden Angehörigen zur Familiensause für ein paar Tage nach Hause kommen, dann prallen Welten aufeinander – mit dem Ergebnis, dass alle froh sind, wenn Weihnachten vorüber ist. Blöd nur, wenn dieser Zustand schon vor dem eigentlichen Fest erreicht ist und die Familientreffen erst noch bevorstehen.

Wie im Drogenrausch


Wie wäre dieses Ehemaligentreffen meines Abi-Kurses bloß ohne Dampfplauderer Moritz* gelaufen? Wie ein Senioren-Kaffeekränzchen in stocksteifer Spießer-Atmosphäre mit aufgesetztem Dauergrinsen? 
Als feucht-fröhliche Nostalgie-Runde, bei der jeder hofft und bangt, dass keine peinlichen Verfehlungen von früher auf den Tisch kommen? Oder als Selbsthilfegruppe, bei dem die Abi-Traumata gemeinsam aufgearbeitet werden? Wer weiß das schon. 

Ganz sicher aber war es gut, dass unser Super-Bulle nicht dabei war. Andernfalls hätte Polizeikommissar Max an dem Abend vermutlich sofort einen Drogentest veranlasst. 
Zumindest bei Moritz. Denn dessen Verhalten war allein mit legalen Aufputschmitteln nicht mehr zu erklären. „Egal, was er genommen hat, er hat bei der Dosis definitiv übertrieben“, raunte mir ein früherer Mitschüler während des abendfüllenden Monologs von Moritz zu. 

Schlimmer gehts nimmer?!?


Getreu dem Mutti-Merkel-Motto im jüngsten Bundestagswahlkampf „viel reden, aber nichts sagen“ plauderte er völlig aufgedreht über jedes erdenkliche Detail seines Lebenslaufs. So kennen wir nicht nur den Namen seiner Freundin, sondern auch deren Körbchengröße. 
Danke dafür, Moritz. Denn bei dem Fremdschäm-Faktor kann selbst der Frauenlästerer Nummer 1, Comedian Mario Barth, nicht mithalten. 

Und die Verwandtschafts-Treffen an den Weihnachtstagen können dies schon gar nicht. Kein Wunder also, dass im Laufe des Abends bei den meisten von uns die Vorfreude auf das Fest stieg – denn schlimmer kann es dann auch nicht werden. Danke dafür, Moritz.

* alle Namen geändert



Mittwoch, 27. November 2013

Lügen haben kurze Beine

Ja, ich weiß, allein schon für diese Überschrift müsste ich fünf Euro ins Phrasenschwein einzahlen. Aber in diesem Fall passte der Spruch einfach wie die Faust aufs Auge - weil die Beine besonders kurz waren.  

Woran erkennt man einen weisen Mann? Richtig, an seinem biblischen Alter, seinen grauen-weißen Haaren und seinen neunmalklugen Sprüchen. Ersteres trifft auf meinen Chef zwar (noch) nicht zu, aber was sein Haar angeht, gibt es selbst unter Farbenblinden keine zwei Meinungen.
Auch am Weisheits-Niveau seiner Sprüche gibt es nichts zu deuteln . Aus seinem Mund stammt der sinngemäße Satz „Termin-Journalismus ist nicht ganz ungefährlich, weil uns Journalisten oft eine Wahrheit vorgegaukelt wird.“ Und Recht hat der gute Mann.

Die Mär vom spendablen Mäzen

Diese Erfahrung habe auch ich kürzlich gemacht: Da hat sich der Senior-Chef eines großen deutschen Unternehmens quasi zum Mäzen eines ganzen Bundeslandes aufgeschwungen und spendierte meiner neuen Heimatstadt eine 15 Meter hohe Nordmanntanne.
Die darf während der Weihnachtszeit den Marktplatz zieren. Und weil es dem romantischen Bild des spendablen Mäzens entspricht,  stammt dieses Prachtexemplar von Tanne natürlich aus dessen naturbelassenem Forst. Das jedenfalls impften mir sein Pressesprecher und dessen Gehilfe während des Baumaufbaus wie einem Demenzkranken wieder und wieder ein.
Und dies mit so viel überschwänglichem Lob und schmalzigem Kitsch versehen, dass es für mindestens zwei Rosamunde-Pilcher-Filme reichen würde. Immerhin weiß ich seitdem, dass Männer auch multiple Orgasmen bekommen können – und das ganz ohne Sex.
 

Wahrheit währt am längsten

Blöd nur, dass der Höhepunkt offenbar zu früh kam: Denn am Nachmittag ruft ein Mann (der erfrischend  nüchtern-sachlich klang) in der Redaktion an und wütet wie die Axt im Walde in der rosaroten Nordmanntannen-Welt des erwähnten Pressesprechers.
Mit anderen Worten: Er wolle mitteilen, dass die Tanne gar nicht aus dem Mäzen-Forst stammt, sondern aus seinem Garten. Er habe aber dem Mäzen erlaubt, den Baum zu fällen, um ihn als großzügige eigene Spende meiner neuen Heimatstadt zu vermachen.
Interessant…  Auf diesen Fauxpas angesprochen, weiß der Pressesprecher von nichts. Welch Überraschung!
Sein Gehilfe, der beim Baumaufstellen in ähnlicher Manier von der Prachttanne schwärmte, ist am Telefon geschwätziger: Merklich bedröppelt räumt er ohne Umschweife ein, dass die Tanne tatsächlich aus dem Garten des Anrufers stammt. So was aber auch.
Und es kommt noch besser: Keine fünf Minuten später ruft er mich an: „Mir ist da noch etwa eingefallen…“ Aha!
Keine fünf Minuten später ruft er ein zweites Mal an: „Wo ich schon dabei bin, will ich doch die ganze Wahrheit erzählen.“ Wird ja immer besser.
Ende vom Lied: Ich darf den ganzen Artikel an verschiedenen Stellen überarbeiten, er gleicht danach einem Flickenteppich. Das ist ärgerlich, aber dafür entsprechen nun alle Infos (hoffentlich) der Wahrheit. Und nicht nur der Wahrheit, die mir und den Lesern vorgegaukelt werden sollte. 

Montag, 18. November 2013

Aus dem Abseits geholt

Herzlichen Glückwunsch, Sport 1! Seit 18 Jahren läuft er bei dem Fernsehsender einmal wöchentlich, der Fußball-Talk „Doppelpass“. Am Sonntag wurde die 750. Folge ausgestrahlt.

Bemerkenswert für eine Sendung, die an Fußpilz erinnert: Beides ist plötzlich da und keiner weiß warum. Beide sind lästig und man ist froh, wenn es vorbei ist. Aber was wäre (Fußball-) Deutschland ohne „Doppelpass“?

Jedenfalls um einige Arbeitslose reicher. Denn seit 18 Jahren bietet Sport 1 (vormals DSF) frustrierten Bundesliga-Auslaufmodellen, die mit ihrer Freizeit nichts anzufangen wissen, wieder einen Sinn im Leben.

Aufbauhilfe für gescheiterte Sportlerpersönlichkeiten


So wie Lothar Matthäus, der den Übergang vom Fußball zum Taschenbillard nahtlos gemeistert hat, aber keine paarungswilligen Heranwachsenden mehr ausfindig machen kann (dem demographischen Wandel sei Dank). Oder Thomas Strunz, dem plötzlich die eigene Frau davongelaufen ist (Stefan Effenberg sei Dank).

Wie gut, dass solch erschütternden Schicksale den Wohlfahrtssender Sport 1 auf den Plan gerufen haben, mit „Doppelpass“ einen Abenteuer-Spielplatz in geschützter Atmosphäre anzubieten. Unter Aufsicht vom solariumverbrannten Falten-Opa Jörg Wontorra, mit dem sich die abgehalfterten Sportler nach Herzenslust austoben können. Wontorra, der moderne Seelenklempner – ein Erfolgsmodell.

Blöd nur, dass Sport 1 dieses Sendeformat bislang nur für den Fußball anbietet. Denn sonst würde Boris Becker sicher nicht mehr mit Fliegenklatschen an den Ohren durch die TV-Landschaft torkeln.  

Montag, 16. September 2013

Ohne Rücksicht auf Verluste

Peer Steinbrück kann aufatmen. Nein, die Bundestagswahl hat er noch nicht überstanden. Aber wenigstens ist nur eine knappe Woche nach Bekanntwerden des Erpressung-Versuches die Sache aufgeklärt. Der mutmaßliche Täter hat sich der Polizei gestellt. Und er scheint mit einem blauen Auge davonzukommen, schließlich ermittelt die Staatsanwaltschaft laut Süddeutscher Zeitung lediglich wegen „versuchter Nötigung.“ Also Ende gut, alles gut? Von wegen! Denn der Umgang der Medien mit der Identität des vermeintlichen Erpressers ist alles andere als vorbildlich.

Intimsphäre über Nacht verloren


Der Name Hermann Ude war bis zum Wochenende den wenigsten bekannt. Weit gefehlt, wer dachte er der kleine Bruder des Münchener Oberbürgermeisters sei. Nun wissen wir, dass Ude 52 Jahre alt ist, ehemals Büroleiter des wegen Steuerhinterziehung zurückgetretenen Post-Chefs Klaus Zumwinkel, dann bis 2011 Vorstandsmitglied der Post war, das Unternehmen überraschend verließ und er die Steinbrücks kennt: Seine Kinder besuchten jene Schule, an der Steinbrücks Frau bis zum Sommer unterrichtete. Wie Ude aussieht, wissen wir dank Focus Online nun auch. Klasse, die Leser dürften zufrieden sein.

So berichtete Focus Online über Hermann Ude.
Aber sind all diese Informationen überhaupt für die Öffentlichkeit relevant? Hätte es nicht gereicht mitzuteilen, dass es sich bei dem Erpresser um ein ehemaliges Vorstandsmitglied der Post handelt – auch wenn er eine Person des öffentlichen Lebens ist oder war? Wird dem Beschuldigten durch diese identifizierende Berichterstattung langfristiger Schaden in seinem sozialen und beruflichen Umfeld zugefügt? Diese Fragen haben sich offenbar die allerwenigsten Medien gestellt. Obwohl dies bitter nötig gewesen wäre. Wer einmal ins mediale Kreuzfeuer geraten ist, ob zurecht, unzurecht oder gar irrtümlich, wird es sehr schwer haben, seinen Ruf jemals wieder herzustellen. Jörg Kachelmann kann ein Lied davon singen.

Kapitalismus kommt vor Moral

Egal, ob Süddeutsche Zeitung, Spiegel Online, Bild Online, Focus Online oder gar tagesschau.de – sie alle haben zumindest den Namen des vermeintlichen (!) Erpressers erwähnt, fast alle sogar noch weitere Details aus Udes Lebenslauf ausgeplaudert. Und damit haben selbst die seriösen Vertreter der Branche sämtliche medienethische Maßstäbe über Bord geworfen, getreu dem Motto: Hauptsache, die Kasse klingelt oder die Klickzahlen stimmen. Denn mit dieser Art Journalismus wird der menschliche Voyeurismus-Trieb. Natürlich wollen die Leser oder Zuschauer erfahren, wer die Person ist, die Steinbrück so kurz vor der Wahl erpresst hat. Die Faustformel für die Medien ist daher ganz einfach: Je mehr Infos sie von dem Erpresser preisgeben, desto attraktiver machen sie sich für die Rezipienten. Fehlt nur noch, dass die Medien Udes Postanschrift, seine Hobbys und Schuhgröße publik machen.

Besorgniserregend aber ist, dass der Fall „Ude“ keinesfalls ein Novum darstellt oder die absolute Ausnahme. In Zeiten dramatisch sinkender Auflagenzahlen bei den Zeitungen und dem knallharten Kampf um Leser auf dem Online-Markt sind journalistische Grundsätze anscheinend zunehmend weniger wert. Das ist kein gutes Zeichen für den Qualitätsjournalismus.

Gesetze und Richtlinien mit Füßen getreten

Dabei hätte ein kurzer Blick ins Grundgesetz genügt. Dort ist in Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 vom Persönlichkeitsrecht die Rede. Und davon, dass der persönlichen Lebensbereich einer Person besonders sensibel und dementsprechend schutzbedürftig ist. Klingt spießig und staubtrocken, ist aber ungemein wichtig. Denn nur unter gewissen Umständen sind Eingriffe, gerade von den Medien, in diesen Bereich gerechtfertigt. Das gilt übrigens auch für Straftäter .Das sieht auch der Presserat so. Wörtlich heißt es dort in einem anderen Fall vor zwei Jahren: „Die Identität eines Straftäters ist grundsätzlich zu schützen. Nur in Ausnahmefällen darf die Identität eines mutmaßlichen Täters [und genau das ist Hermann Ude, Anmerkung: Käfer klotzt] in der Berichterstattung preisgegeben werden.
Dabei ist zwischen dem Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit und dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen abzuwägen.“ Abwägen??? Dieses Wort haben die Massenmedien im Fall „Ude“ mal schnell aus ihrem Vokabular gestrichen. Das sollten sie schleunigst wieder ändern, ansonsten drohen sie ihren Ruf zu verspielen. Und  vielen anderen Bürgern, die ins Visier der Justiz geraten sind, egal ob zurecht oder nicht, droht ein böses Erwachen.

 
 

Mittwoch, 11. September 2013

Eine Branche steht am Abgrund

Ich kaufe mir gleich einen Strick“, flüstere ich süffisant meinem Sitznachbarn zu. „Aber nur den günstigen, für die besseren fehlt das Geld.“ Anders als mit Galgenhumor ist die Situation nicht zu ertragen. Die Stimmung ist gedämpft beim Medienseminar der Bundeszentrale für politische Bildung für Nachwuchsjournalisten, geradezu bedrückt.
Wenig überraschend bei dem Titel der Veranstaltung: „Wer finanziert den Journalismus von morgen?“ Diese Frage ist derzeit die wohl wichtigste in der Branche, sie ist allgegenwärtig, sie brennt uns Journalisten unter den Nägeln. Und das gerade deshalb, weil es keine Antworten auf diese Frage gibt. Noch nicht jedenfalls.

Die Krise ist hausgemacht

Im schlimmsten Fall ist der Journalismus in einigen Jahren tot, sagt Michael Konken, Chef des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), wenn nicht bald ein Ruck durch die Gesellschaft gehe.  Aber wo soll der herkommen? Schließlich hat die Branche den Karren selber in den Dreck gezogen. Bislang kommt sie dort nicht wieder heraus.
Da zahlen Abonnenten Tag für Tag Geld für ein Produkt, für ihre Zeitung, die meistens qualitativ hochwertig ist. Gleichzeitig werden große Teile exakt dieses Produktes im Internet angeboten, für alle versteht sich. Und das zum Nulltarif. Und das seit fast zehn Jahren, bis es auch die Letzten gemerkt haben. Für die Nutzer ist das klasse, für die Journalisten ist das existenzgefährdend.

Der Journalismus droht zu verbluten


Also was tun? Eine Bezahlschranke, die Pay-Wall, einführen, sodass Artikel im Netz nur gegen Bezahlung zugänglich gemacht werden? Bringt nichts, zumindest gegenwärtig, weil nicht alle Nachrichtenanbieter mitziehen und die Leser ihre Informationen aus anderen Kanälen generieren. Sie sind zu lange verwöhnt worden von den Verlagen. Also was tun? Gute Frage. Alle tappen noch im Dunkeln bei der Suche nach Lösungen.

Darunter zu leiden haben die Journalisten. Egal, wo man sich in Deutschland umschaut, die Verlage stellen kaum noch Journalisten ein, unbefristet schon gar nicht, im Gegenteil: Sie bauen Stellen ab, ganze Redaktionen, ja Zeitungen, verschwinden von der Bildfläche. DJV-Chef Konken: „Die Zahl der freien Journalisten in Deutschland hat in den letzten zehn Jahren um 50 Prozent zugenommen.“
Viele davon kämpfen ums nackte Überleben auf einem schwer ausrechenbaren Markt. Tag für Tag. Und diejenigen, die in den Redaktionen bleiben dürfen, sollen mit immer weniger Kollegen immer bessere Arbeit abliefern. Paradox! Also was tun? So genau weiß das derzeit niemand. Und genau das ist das Problem.

Sonntag, 19. Mai 2013

Campen für Fortgeschrittene

Camping-Urlaub ist nichts für Weicheier. Das ist mir spätestens am Wochenende wieder bewusst geworden. Aber ein unvergessliches Erlebnis war es dafür allemal. 

 Übernachtung in der Küche


„Ein Schlauchboot, ja ein Schlauchboot, das hätten wir wirklich gut gebrauchen können“, denke ich und kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. Dann wären wir wenigstens trockenen Fußes über den Campingplatz gekommen und hätten in Ruhe auf der Wiese um unsere Zelte herum Ausschau nach Fischen halten können. Ich muss schmunzeln, als mir diese Gedanken durch den Kopf schießen, während ich fast splitternackt in meinem Schlafsack im Aufenthaltsraum des Campingplatzes liege.
Nebenan, in der angrenzenden Küche, spült gerade ein anderer Camper sein Geschirr. Ich stelle mir gerade sein verdutztes Gesicht vor, dass er gehabt haben muss, als er die Küche betrat und dort vier Kerle in Schlafsäcken auf dem Boden liegend vorfand. Für mehr Personen reichte der Platz dort zum Schlafen nicht, daher übernachtete ich mit zwei weiteren Jungs im Aufenthaltsraum – richtigen Camper kann das natürlich nichts anhaben.

Aber wieso kam es eigentlich soweit? Was war passiert?

„Wieso immer zu Hause feiern?“, dachte sich ein sehr guter Kumpel von mir, als er überlegte, wie er seinen Geburtstag angemessen nachfeiern sollte. Also fuhren wir zu neunt zum Zelten an die Nordsee nach Krummhörn. Pünktlich zum Pfingstwochenende ist dort der Bär los, macht uns aber nix.
Ratz fatz haben wir die vier Zelte, darunter ein fast 20 Quadratmeter großes  Gemeinschaftszelt, aufgebaut. Von dem prognostizierten Regen für den Abend hatten wir gehört, aber echte Camper schreckt so eine Wettervorhersage natürlich nicht ab. Tatsächlich prasseln ab 22.30 Uhr monsunartige Regenfälle nieder, die Temperatur geht schlagartig in den Keller, keine zehn Grad sind es. Aber echten Campern macht das natürlich nichts aus.
Der Regen ist dermaßen laut, dass man schon brüllen muss, um eine normale Unterhaltung zu führen. Also machen wir uns in den Aufenthaltsraum auf, spielen dort Poker. Ohne zu wissen, wie das Wetter bei uns ist, schickt mir meine Schwester eine Kurznachricht aufs Handy. „In Hannover ist gerade Weltuntergangswetter, so schlimm habe ich es lange nicht mehr erlebt.“ „Wie gut, dass es bei uns nicht ganz so schlimm ist“, denke ich. Aber auch nur für einige Minuten. Dann hat unser Geburtstagskind beim Pokern als Erster verloren und verlässt den Aufenthaltsraum in Richtung Zelt.
Kaum ist er verschwunden, da klingelt bei einem das Handy. Er sagt sekundenlang nichts, starrt wie versteinert an die Wand, seine Augen weit aufgerissen. „WAAAAS??? Das kann doch nicht sein, wir kommen sofort!“ Wieder ein kurzer Moment der Stille. Dann: „Das Zelt ist komplett geflutet, alles steht unter Wasser.“ Wie von der Tarantel gestochen, springen wir alle synchron auf und sprinten in Richtung Zeltplatz, ohne Taschenlampen, sehen tun wir also fast nichts, denn Laternen stehen nirgends.

Wasser zum Abwinken

Macht aber nichts, denn schon in Zeltnähe stehen wir mehr als knöcheltief im Wasser, ein herrliches Gefühl. „Dann brauche ich mir wenigstens nicht mehr die Füße zu waschen“, denke ich. Duschen auch nicht, denn es gießt ununterbrochen in Strömen. Mindestens zwei der vier Zelte haben sich selbstständig in ein Übungsbecken für Wassergymnastik verwandelt.
Wir retten die nötigsten Sachen aus den Zelten und beschließen, im Aufenthaltsraum zu übernachten. Aber nicht alle: Zwei richtig Hartgesottene wollen freiwillig im Zelt nächtigen, da ihr Schlafgemach noch nicht zum Aquarium umfunktioniert wurde. Richtige Camper schrecken so ein paar Tropfen nicht ab.

Schaufel schafft Abhilfe

Ich bin übrigens keiner der beiden und gebe zu, kein richtiger Camper zu sein. Die Klamotten in meiner Tasche sind alle durchnässt, daher schlafe ich fast nackt im von innen trocken gebliebenen Schlafsack. Diesen Luxus kann nicht jeder von den Jungs genießen. Aber ihr ahnt schon: Richtigen Campern macht das natürlich nichts aus.
Also machen wir uns am nächsten Morgen an die Arbeit, um die Seenplatte um unsere Zelte herum etwas auszutrocknen. Für zwei Euro kaufen wir uns eine kleine Sandschaufel bei den Campingplatz-Betreibern und heben einen kleinen Graben im Gemeinschaftszelt aus, damit das Wasser langsam abfließen kann, der Rest wird herausgeschaufelt. Über 100 Liter Wasser hatten sich im Gemeinschaftszelt angesammelt . „Wenigstens regnet es seit 3 Uhr nicht mehr so heftig“, sagt einer der Jungs. Und selbst wenn, dann hätten wir uns das Duschen gespart. Richtigen Campern macht das eben nichts aus, richtige Camper brauchen auch kein Schlauchboot.

Donnerstag, 9. Mai 2013

Ohne Schweiß kein Preis


Grübelnd brüte ich im Restaurant über der Speisekarte. Immer wieder bleibt mein Blick bei den Pizzen hängen. Vor meinem inneren Auge stelle ich mir den duftenden und bunt belegten Hefeteig vor, der mir frisch am Tisch serviert wird.
Wenn es nach meinem Bauch geht, ist die Entscheidung über mein Abendessen längst gefällt. Blöd nur, dass seit Wochen der Kopf das letzte Wort hat – und so gibt es einen Fischteller mit Blattsalat, Spiegelei und Bratkartoffeln.
Während sich meine Freunde zum Nachtisch ein Eis gönnen und ein Bier nach dem anderen leeren, bleibe ich hart. Eis gibt es an dem Abend nicht und Alkohol schon gar nicht.


Das Lauf-Experiment

Warum ich mir diese Tortur antue? Das ganze ist Teil eines Experiments. Und das lautet: Ist es möglich, als ganz „normaler“ Mensch mit einem Fulltime-Job nebenher Leistungssport zu betreiben und den Körper an die maximale Leistungsgrenze zu treiben? Wo liegt die überhaupt bei mir? Und wie fühlt sich das dann an?

Klingt verrückt, ist es im Übrigen auch. Bleibt bloß noch die Frage, was mich dazu angestachelt hat. Habe ich bloß zu viel Langeweile während meiner Freizeit in Eutin? Oder füllt mich mein Volontariat plus Studium nicht genug aus? Da kann sich jetzt jeder von euch seine eigenen Gedanken machen.

Wie dem auch sei, vor zwei Monaten zog ich mir einen ambitionierten Trainingsplan aus dem Internet. Sechs- bis siebenmal Training die Woche, davon zwei Tempoeinheiten, für eine Halbmarathon-Zeit von unter 1:30 Stunde – und das zehn Wochen lang!
„Das ist ein Brett, aber das schaffst du. Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg“, sagte ich mir.
Unter 1:30 Stunde – das las sich gut, meine Augen leuchteten und ich sah vor meinem geistigen Auge schon den Asphalt brennen, über den ich hinwegfege.
In meinem Übermut verordnete ich mir dazu dreimal die Woche Athletiktraining zur Kräftigung der Rumpfmuskulatur, damit ich nicht aussehe wie ein Strich in der Landschaft mit Elefantenschenkeln. Die Ernährung stellte ich mir um (also nicht jeden Tag Fast Food und schaufelweise Süßigkeiten) und legte mir ein striktes Alkoholverbot für die Zeit auf. Klingt gut in der Theorie, oder?
Blöd nur, dass die Praxis meist anders aussieht.
 

Asketisches Leben: Trainieren, Arbeiten, Schlafen


Trotzdem gelang es mir bislang, das Programm konsequent durchzuziehen. Mittlerweile bin ich in Woche 8 angelangt. Und plötzlich jagen mich andere Probleme: Ich bin fit wie ein Turnschuh (sagen mir jedenfalls die Trainingsergebnisse), mein Akku fühlt sich aber an, als müsse er mal wieder dringend an eine Steckdose angeschlossen werden – bloß ist eine solche nirgends zu sehen.

Abgesehen davon ist mein Leben in den letzten Wochen auffällig eintönig geworden. Es besteht fast nur noch aus Trainieren, Arbeiten, Schlafen (auch in der Reihenfolge). Stichwort: Und täglich grüßt das Murmeltier.

Das intensive Training ist wie ein zweiter Fulltime-Job, jedenfalls zehrt es ähnlich an meinen Kräften. Wenn ich morgens in der Redaktion aufschlage, fühlt es sich an, als hätte ich schon den halben Tag gearbeitet und denke schon in Richtung Feierabend. Dumm nur, dass der meistens noch gefühlte Ewigkeiten entfernt liegt.

Das Ende rückt näher


Kein Wunder also, dass ich mir einen Tag im Kalender dick und fett angestrichen habe, den 25. Mai. Das ist der Tag, an dem mein Trainingsplan endet.
Das ist der Tag, an dem ich den Halbmarathon laufen will, auf den ich seit zwei Monaten hinarbeite. Das ist der Tag, an dem ich wieder „normal“ werde.
Ich sehe mich dann abends in einem Restaurant sitzen, eine große Pizza essend, anschließend gibt es ein Eis und ein Bier. Oder zwei. Bis dahin heißt es durchhalten. Für mich mit meinem Trainingsplan und für euch mit dem Warten auf den nächsten Blog-Eintrag.

Mittwoch, 3. April 2013

Das spinnt, das Wetter...

Was haben wir dem menschlichen Erfindergeist nicht alles zu verdanken: Der Mensch hat Motoren erfunden, mit deren Hilfe Autos, Flugzeuge oder Bahnen fahren. Der Mensch hat dermaßen gefährliche Waffen erfunden, mit denen sich auf einen Schlag ganze Städte ausrotten lassen. Der Mensch hat es sogar geschafft internetfähige Mobiltelefone mit hochauflösenden Kameras zu fertigen, sozusagen die eierlegende Wollmilchsau.

Doch eines hat der Mensch bis heute nicht geschafft – das Wetter nach seinen Vorstellungen zu beeinflussen. Und so ist das Wetter immer wieder für eine Überraschung gut.

Verkehrte Welt: Weihnachten im Biergarten, Ostern im Schnee


Dieser Winter zählt zweifelsohne dazu: An Heiligabend wurden in München über 20 Grad gemessen (im Plusbereich wohlbemerkt), Bürger saßen mit Sonnenbrille im Biergarten und mussten aufpassen, keinen Sonnenbrand zu bekommen. An Ostern mussten Eltern sich ernsthaft überlegen, wie sie die Osternester im Schnee verstecken, ohne dass der Nachwuchs sie gleich entdeckt.

Erst stöhnten alle über zu warme Weihnachten, nun über zu kalte Ostern.

Der April macht, was er will


Klar ist: Das Wetter kann es unmöglich allen gleichzeitig recht machen. Das wurde mir kürzlich, am 2. April, mal wieder deutlich vor Augen geführt: Die Sonne lachte, keine Wolke war am Himmel zu sehen, was will man mehr? Ok, die Temperatur kletterte mit Mühe auf fünf Grad, der Wind war eisig, aber trotzdem waren die (Eis-)Cafés in Eutin gut besucht, der Winter schien vertrieben zu sein. Ich habe auf dem Marktplatz ein paar Frühlingsfotos geschossen, plauderte mit Passanten, die sich über das bessere Wetter freuten. Gute Laune durchweg, Friede, Freude, Eierkuchen.

Wenig später kam ich zurück in der Redaktion – und durfte gleich wieder los: Ein Lkw war auf schneebedeckter Fahrbahn abgeschmiert und steckte im Graben fest. Auf den schattigen Nebenstrecken hält sich der Winter hartnäckig, der Fahrer war entsprechend bedient.

Zu gern hätte er sicherlich das Wetter vom 2. April von vor zwei Jahren gehabt. Damals herrschten schon hochsommerliche Verhältnisse, die Sonne brannte gnadenlos, es waren über 25 Grad im Schatten, ich bekam meinen ersten Sonnenbrand des Jahres.
 

Die Hoffnung stirbt zuletzt


Ja, so ist es eben das Wetter, immer für eine Überraschung gut. Spätestens seit diesem Winter bin ich auf alles gefasst. Deshalb hoffe ich, dass ein gerissener Mensch mit seinem Erfindungsreichtum bis zu meinem Sommerurlaub eine Badehose erfindet, die mit wärmeempfindlichen Sensoren ausgestattet ist, die sich im Zweifelsfall bei entsprechendem Wetterumschwung in Skiunterwäsche verwandelt. Oder Flipflops, die auch als Gummistiefel oder Winterschuhe umfunktioniert werden können. Ansonsten bleibt bloß die Hoffnung, dass das Wetter ausnahmsweise mal nach meiner Pfeife tanzt.

Samstag, 23. März 2013

Der Teufelskerl mit göttlicher Leidenschaft

Zeitungskrise hin oder her - trotz schlechter Berufsaussichten lautet der Traumberuf vieler Jugendlicher nach wie vor: Journalist.
 Aber wie wird man eigentlich Journalist?
 
Der Königsweg, der von den meisten beschritten wird, sieht wie folgt aus: Praktikum, freie Mitarbeit, Studium, Volontariat (so lautet die meist eineinhalb- bis zweijährige Ausbildung zum Redakteur).
 
Doch es muss nicht immer dieser klassische Weg sein, um ein guter Journalist zu werden. Gerade dieses Berufsfeld ist offen für Quereinsteiger jeder Art, wie ich in einer Serie zeigen will. Heute Teil 1: Harald Klipp, Lokalsportredakteur beim Ostholsteiner Anzeiger, Eutin.
 

 
Sport hält bekanntlich jung, sowohl Körper als auch Geist. Den lebenden Beweis dafür tritt Harald Klipp an, jeden Tag aufs Neue. Jahrzehntelang hat er Fußball gespielt, als Torwart lief er jahrelang auf Landesebene auf, eine Zeitung widmete ihm einst mit den Titel „Der Teufelskerl zwischen den Pfosten.“

Jetzt arbeitet er als Lokalsportredakteur - der Sport lässt ihn nicht mehr los.

Im Sommer wird er 56 Jahre alt, gehört aber noch lange nicht zum alten Eisen.

Zu frisch ist sein Denken dafür, zu innovativ seine Ideen, wie die moderne Zeitung aussehen sollte, zu selbstkritisch und offen für Kritik von außen ist er – einfach Harald eben, der Teufelskerl. Er hat diesen unbedingten Willen, den Killerinstinkt für eine gute Story.
 

Elite-Ausbildung? Fehlanzeige! 

In der Redaktion ist er als Einziger für den Lokalsport zuständig, vor sieben Jahren wurde er von einer unabhängigen Fachjury unter die besten zehn Lokalredakteure bundesweit gewählt, als Lokalsportjournalist ist er ebenfalls dekoriert. Wer nun glaubt, Harald hätte eine Elite-Ausbildung genossen, liegt vollkommen daneben.

Ausgebildet zum Sportjournalisten wurde Harald nie, geschweige denn überhaupt zum Journalisten. 

Größter Feind ist der Stillstand

Sowas nennt man wohl Naturtalent. Oder Autodidakt. Denn Harald hat sich all sein Wissen selber angeeignet, hat zahllose Fachbücher gewälzt, Fortbildungen besucht, sich von ganz unten allein hochgearbeitet. Dies zeichnet ihn noch heute aus.

Harald hat viele Kontakte und Verbindungen zu Kollegen geknüpft, die er während seiner Fortbildungen kennengelernt hat. An solchen nimmt er auch heute noch teil, etwa dem renommierten Forum für Lokaljournalisten.

Seine größter Feind ist der Stillstand: Bloß nicht auf der Stelle stehen bleiben, immer auf der Höhe der Zeit sein. In sozialen Netzwerken fühlt er sich unheimlich wohl, nutzt sie gnadenlos effektiv für berufliche Zwecke.

Er hat auch kein Problem damit bei Fortbildungen zu diesem Thema nur mit Journalisten in einem Raum zu sitzen, die seine Kinder sein könnten.  

Beruflicher Weg schien vorbestimmt 


Aber bis er zu dem Journalist wurde, der er heute ist, war es ein langer Weg: Mit der Fachhochschulreife verließ er die Schule. Journalist zu werden kam ihm damals nicht mal im Traum in den Sinn.

Stattdessen sollte er die Autowerkstatt seines Vaters übernehmen, sein Weg schien schon vorbestimmt zu sein. Also erst mal ein halbes Jahr Praktikum in der Werkstatt, bevor sein Studium für Elektrotechnik in Lübeck begann.

Nach zwei Semestern kam der Knacks. Harald brach das Studium ab, merkte, dass der Beruf doch nix für ihn war.  

Aber was nun? Harald ging in sich, hörte auf seine Interessen – und schrieb sich an der
Technischen Universität Braunschweig für Sozialpädagogik ein. Aber wieder war es nicht die richtige Wahl für ihn.

„Nach fünf Semestern habe ich abgebrochen, weil ich den Sinn bei dem Fach nicht erkannte“, sagt Harald. Es klingt, als sei er im Nachhinein froh darüber, wie es gelaufen ist. Vielleicht wäre er ansonsten nie bei der Zeitung gelandet.

Nach dem zweiten abgebrochenen Studium hielt er sich zwei Jahre lang mit einem Bürojob bei einem Steuerberater über Wasser.

Bis das Anzeigenblatt in Haralds Heimat einen freien Mitarbeiter suchte. Harald fackelte nicht lange, bekam die Stelle und arbeitete sechs Monate lang für das Blatt. Danach wechselte er als freier Mitarbeiter zu den Lübecker Nachrichten (LN), sechs Jahre lang machte er das. Sechs Jahre lang arbeitete er nahezu jeden Tag, von Montag bis Sonntag, oft zehn Stunden täglich und mehr.  

Fast jedes Wochenende im Einsatz 


„Das machte mir unheimlich viel Spaß, daher habe ich es nicht wirklich als Arbeit empfunden“, sagte er. Das journalistische Schreiben, und alles was dazu gehört brachte er sich in dieser Zeit allein bei.

Also lebt er nur für die Arbeit? Wieder falsch: Ein Leben neben dem Beruf gab es für ihn ja auch noch, Fußball und seine Frau, seine große Liebe, mit der er heute noch verheiratet ist.

Die viele Arbeit zahlte sich aus: Harald bekam eine feste Redakteursstelle bei den LN, wechselte nach internen Querelen vor knapp 21 Jahren zum Ostholsteiner Anzeiger nach Eutin, als dort ein Lokalsportjournalist gesucht wurde, es ist genau sein Ding, seine Leidenschaft.

Dafür muss er an 50 der 52 Wochenenden im Jahr arbeiten, so auch an Ostern. Sein Wochenende hat er mittwochs und donnerstags. Für seine Familie, seine Frau und die beiden Töchter, ist das normal. „Sie kennen das nicht anders“, sagt Harald gelassen. Für ihn ist die Wochenend-Arbeit Teil seines Jobs, er würde sich nie darüber beschweren. Ein echter Teufelskerl eben, mit göttlicher Leidenschaft.

 

 

 

 

 

Donnerstag, 10. Januar 2013

Der Feind in Uniform

Wochenende für Wochenende, Spieltag für Spieltag pilgern hunderttausende Fans in die Fußball-Stadien der Profi-Vereine, den Tempel der Anhänger.
Was für die einen ein ultimatives Freizeit-Erlebnis darstellt, ist für andere harte Arbeit: Jedes Spiel wird von zahlreichen Polizeibeamten begleitet. Und das nicht erst, seit verschärfte Sicherheitskonzepte intensiv diskutiert werden.
                                   
Für die Polizisten ist es jedes Mal ein ungewisses Abenteuer: Verläuft der Einsatz ruhig und unspektakulär? Gibt es gewalttägige Ausschreitungen, bei denen die Beamten teilweise ihre Gesundheit aufs Spiel setzen, um Ordnung zu schaffen?
Wie nehmen die Polizisten solche Einsätze überhaupt war? Ein Betroffener plaudert aus dem Nähkästchen.

Jedes Mal in Sorge um die eigene Gesundheit


 
In hohem Bogen wirbelt die Glasflasche durch die Luft. Lukas*, Bereitschaftspolizist, sieht sie direkt auf sich zukommen. Doch er bleibt wie angewurzelt stehen. Kerzengerade. Den Blick starr nach vorn gerichtet. Keine Ausweichbewegung. Nicht mal ein kleines Zucken. Lukas steht so steif da wie eine Schaufensterpuppe.
Er hat Glück; das Geschoss segelt über ihn hinweg und zerschellt auf der Straße. Wenig später fliegt die nächste Flasche in seine Richtung. Wieder verfehlt. Diese Szene wiederholt sich einige Male. Lukas bleibt unverletzt. Und atmet danach tief durch.
Vorbereiten kann man sich auf solche Situationen nicht, sagt er. „Ich kann dann bloß hoffen, dass der Helm die Wucht des Aufpralls aushält.“

Für ihn sind Ereignisse wie diese nichts Besonderes. Aber normal sind sie für ihn auch nicht. „Ein bisschen mulmig ist mir bei solchen Aktionen schon“, berichtet der Mittzwanziger. Denn: „Du darfst und willst dich dann nicht wegducken, sonst bekommt der Hintermann die Flasche ab. Und der sieht sie im Gegensatz zu mir nicht mal kommen.“

Das „Doppelleben“ des Polizisten

 

Von außen sieht es aus, als könne Lukas bei seinem Einsatz nichts aus der Ruhe bringen. Wie ein mächtiger Fels wirkt er. Unbeweglich und emotionslos, steif und kalt.
Doch unter der Uniform ist Lukas verletzbar. Ein ganz normaler Mensch mit Gefühlen.
„Nach einem Einsatz will ich wohlbehalten wieder nach Hause zu meiner Freundin kommen und nicht verwundet im Krankenhaus aufwachen.“

Die meiste Zeit des Tages über wirkt Lukas für seine Umgebung wie ein junger Mann, wie sie tausendfach in den Städten herumlaufen: Jung, lebenslustig, aufgeschlossen.
Doch das ändert sich schlagartig, quasi von einer Sekunde auf die andere, sobald Lukas seine Dienstkleidung überstreift.
Dann wird aus dem symphatischen Mann in den Augen etlicher Fußball-Fans ein Gegner. Ein Hassobjekt. Ein Feind in Uniform. Lukas weiß das.
Er sagt: „Mir fällt kein Beispiel ein, wo sich Menschen untereinander so schnell gegen etwas solidarisieren, wie gegen uniformierte Polizisten.“ Angst macht es ihm nicht. Aber behagen tut es ihm auch nicht.

„Was geht in diesen Menschen vor, die grundlos und gezielt jemanden verletzen, den sie gar nicht kennen? Etliche von denen sind vermutlich in meinem Alter, vielleicht haben wir sogar dieselben Hobbys. Wir könnten theoretisch Freunde sein.“ Praktisch aber nicht.
Da sind Lukas und seine Kollegen während ihrer Dienstzeit bloß der Feind in Uniform. Eine kollektive Zielscheibe.


Der Ausbruch aus dem Alltag


Beschimpfungen wie „Scheiß Bullen“ oder „Verpisst euch, ihr Bullenschweine“ müssen sie sich regelmäßig anhören. Dagegen sind sie machtlos.
„Meistens kommt sowas aus einer Gruppe heraus und kann keiner einzelnen Person zugeordnet werden. Wir fühlen uns davon schon gar nicht mehr beleidigt.“
Spuckattacken sind ebenfalls nichts Ungewöhnliches für ihn. Eher die Tagesordnung, der Ist-Zustand. Lukas ist eben der Feind in Uniform.

„Gewaltbereit ist eine Minderheit von rund zehn Prozent der Besucher. Aber es werden stetig mehr. Diese Randalierer kommen aus allen sozialen Schichten: Vom Versicherungskaufmann bis zum Verkäufer im Supermarkt ist da alles vertreten. Die wollen am Wochenende mal richtig einen drauf machen. Aus dem tristen Alltag entfliehen, damit sie zu Hause was zum Prahlen haben“, so Lukas.
Er und seine Kollegen dienen dann als willkommene Angriffsfläche, als Ventil, um Druck abzulassen. Lukas weiß das. Er kann damit umgehen.

Andere Berufseinsteiger sprühen in ihren Jobs nur so vor Enthusiasmus, Einsatzbereitschaft und Vorfreude für ihre Aufgaben. Nicht so Lukas.
Die Schilderungen seiner Tätigkeiten klingen ungemein distanziert, analytisch, nüchtern, ja geradezu ernüchternd. Fast schon beängstigend gleichgültig. Es scheint so, als sei er schnell auf dem Boden der Tatsachen gelandet, als habe er sich mit den Zuständen rund um die Stadien abgefunden.
Das ist bitter, aber es sagt eine Menge über unser gesellschaftliches Zusammenleben aus.

* Name geändert












Mittwoch, 2. Januar 2013

Faszination Silvesterlauf

An keinem Tag im Jahr finden so viele Laufveranstaltungen in Deutschland statt wie am 31. Dezember. Eine davon gibt es im beschaulichen Hasede. Einmal im Jahr verwandelt sich das idyllische 1600-Seelen-Dorf im nördlichen Landkreis Hildesheim in ein wahres Lauf-Mekka. Und das seit 28 Jahren. Am Silvesterlauf nahmen vorgestern 784 Läufer teil. Der Rekord steht bei über 1050 Startern. Aber wie schafft es dieses Laufevent, jährlich die Massen zu mobilisieren?

Von zu langen Strecken...


Dem Streckenverlauf ist dies sicherlich nicht zu verdanken: Die enorm windanfällige Strecke mit vielen langen Geraden führt rechteckförmig durch die Haseder Feldmark und ist so spannend wie ein Film, dessen Ende man bereits kennt. Zudem ist das Terrain flach wie ein Brett, sodass die Distanzen selbst mit eingeschlafenen Füßen gut zu meistern sind.
Die Jagd nach Bestzeiten kann es ebenfalls nicht sein: Die Strecken sind nicht amtlich vermessen. So kommt es, dass der 10-km-Lauf 150 Meter zu lang war. Aber das ist noch gar nichts gegen 2011. Damals mussten die Läufer sogar 300 zusätzliche Meter zurücklegen.
Aber was übt dann diese Faszination „Silvesterlauf“ aus? Ganz einfach: „Der Silvesterlauf gehört zum Jahresabschluss einfach dazu. Wenn ich den Lauf erfolgreich hinter mich gebracht und dem Körper etwas Gutes getan habe, kann ich abends völlig unbeschwert ins neue Jahr feiern. Das ist ein tolles Gefühl.“ Treffender als es dieser Läufer gestern erschöpft, aber glücklich im Zielbereich sagte, kann man es kaum auf den Punkt bringen.
Das soll er also sein - der Grund, weshalb sich etliche hundert Läufer Jahr für Jahr an die Startlinie stellen; egal ob bei Regen, Schnee oder Blitzeis? Die Antwort lautet: Natürlich nicht! Denn es gibt einige weitere Gründe, die die Anziehungskraft des Haseder Laufevents erklären.

...über Wiedersehen der (Lauf-)Familie


Silvesterlauf in Hasede hat immer den Hauch von verspäteten Weihnachten. Es ist wie ein großes Familientreffen: Egal, in welchen Teilen der Welt die Läufer das restliche Jahr über verstreut tätig sind, an diesem Tag im Jahr gibt es in dem kleinen Örtchen im Landkreis Hildesheim das große Wiedersehen.
Dann plauscht man beim Einlaufen mit dem ehemaligen Trainingskollegen, der in Südafrika Hochschuldozent ist, tauscht sich mit einem früheren Laufkumpel aus, der nun in Würzburg Lehramts-Student ist. Und am Streckenrand trifft man Bekannte, die einfach nur zum Zuschauen und Anfeuern angereist sind.

Unnachahmlich ist auch der Moderator, der mit seiner stark betonenden Sprechweise locker Michael Kessler als Günther-Jauch-Imitator bei Switch Reloaded ablösen könnte.
Herrlich amüsant sind auch seine verbalen Schaumschläge.
Beispiel gefällig? Bitte sehr: „Bei dem 5-km-Lauf sind sogar zwei Starterinnen aus Kolumbien dabei. Vielleicht gibt es hier heute weitere Teilnehmer aus anderen europäischen Ländern.“
Und noch einer: Da fragt ein Zuschauer ihn im Scherz, ob es für die ersten zehn Läufer je einen Glühwein gratis gebe. Sein Konter: „Unter Escorial geht hier gar nichts (Anm.: Dabei handelt es sich um einen Kräuterlikör mit 56 % Volumen Alkohol).“
In den Sieger des 10-km-Laufes war der Moderator gar so vernarrt, dass er die Zieleinläufe der Zwei- bis Viertplatzierten völlig übersah.

...bis hin zum Dauergast in Hasede: dem Wind


Allein der Mann ist es wert, am 31. Dezember nach Hasede zu kommen. Zumindest als Zuschauer. Für die Läufer gibt es noch ganz andere Anreize: Dem Wind auf der Strecke zu trotzen. Der gehört zu Hasede einfach dazu, so wie die Freiheitsstatue zu New York oder der schiefe Turm zu Pisa (Läufer A im Ziel: „Was war das heute nicht wieder windig hier.“ Läufer B daraufhin: „Ist halt Hasede.“).
Daher gehört es in Hasede zum guten Ton, dass sich die Läufer solidarisieren und den Konkurrenten Windschatten spenden. Das verbindet. Und pusht gegenseitig.
Das Allerbeste daran: Im Ziel kommt man so unverkrampft mit anderen Teilnehmern ins Gespräch und kann neue Kontakte knüpfen („Was war das heute nicht wieder windig hier.“). Schade, dass es bis zum nächsten Silvesterlauf noch ein Jahr hin ist.