Donnerstag, 10. Januar 2013

Der Feind in Uniform

Wochenende für Wochenende, Spieltag für Spieltag pilgern hunderttausende Fans in die Fußball-Stadien der Profi-Vereine, den Tempel der Anhänger.
Was für die einen ein ultimatives Freizeit-Erlebnis darstellt, ist für andere harte Arbeit: Jedes Spiel wird von zahlreichen Polizeibeamten begleitet. Und das nicht erst, seit verschärfte Sicherheitskonzepte intensiv diskutiert werden.
                                   
Für die Polizisten ist es jedes Mal ein ungewisses Abenteuer: Verläuft der Einsatz ruhig und unspektakulär? Gibt es gewalttägige Ausschreitungen, bei denen die Beamten teilweise ihre Gesundheit aufs Spiel setzen, um Ordnung zu schaffen?
Wie nehmen die Polizisten solche Einsätze überhaupt war? Ein Betroffener plaudert aus dem Nähkästchen.

Jedes Mal in Sorge um die eigene Gesundheit


 
In hohem Bogen wirbelt die Glasflasche durch die Luft. Lukas*, Bereitschaftspolizist, sieht sie direkt auf sich zukommen. Doch er bleibt wie angewurzelt stehen. Kerzengerade. Den Blick starr nach vorn gerichtet. Keine Ausweichbewegung. Nicht mal ein kleines Zucken. Lukas steht so steif da wie eine Schaufensterpuppe.
Er hat Glück; das Geschoss segelt über ihn hinweg und zerschellt auf der Straße. Wenig später fliegt die nächste Flasche in seine Richtung. Wieder verfehlt. Diese Szene wiederholt sich einige Male. Lukas bleibt unverletzt. Und atmet danach tief durch.
Vorbereiten kann man sich auf solche Situationen nicht, sagt er. „Ich kann dann bloß hoffen, dass der Helm die Wucht des Aufpralls aushält.“

Für ihn sind Ereignisse wie diese nichts Besonderes. Aber normal sind sie für ihn auch nicht. „Ein bisschen mulmig ist mir bei solchen Aktionen schon“, berichtet der Mittzwanziger. Denn: „Du darfst und willst dich dann nicht wegducken, sonst bekommt der Hintermann die Flasche ab. Und der sieht sie im Gegensatz zu mir nicht mal kommen.“

Das „Doppelleben“ des Polizisten

 

Von außen sieht es aus, als könne Lukas bei seinem Einsatz nichts aus der Ruhe bringen. Wie ein mächtiger Fels wirkt er. Unbeweglich und emotionslos, steif und kalt.
Doch unter der Uniform ist Lukas verletzbar. Ein ganz normaler Mensch mit Gefühlen.
„Nach einem Einsatz will ich wohlbehalten wieder nach Hause zu meiner Freundin kommen und nicht verwundet im Krankenhaus aufwachen.“

Die meiste Zeit des Tages über wirkt Lukas für seine Umgebung wie ein junger Mann, wie sie tausendfach in den Städten herumlaufen: Jung, lebenslustig, aufgeschlossen.
Doch das ändert sich schlagartig, quasi von einer Sekunde auf die andere, sobald Lukas seine Dienstkleidung überstreift.
Dann wird aus dem symphatischen Mann in den Augen etlicher Fußball-Fans ein Gegner. Ein Hassobjekt. Ein Feind in Uniform. Lukas weiß das.
Er sagt: „Mir fällt kein Beispiel ein, wo sich Menschen untereinander so schnell gegen etwas solidarisieren, wie gegen uniformierte Polizisten.“ Angst macht es ihm nicht. Aber behagen tut es ihm auch nicht.

„Was geht in diesen Menschen vor, die grundlos und gezielt jemanden verletzen, den sie gar nicht kennen? Etliche von denen sind vermutlich in meinem Alter, vielleicht haben wir sogar dieselben Hobbys. Wir könnten theoretisch Freunde sein.“ Praktisch aber nicht.
Da sind Lukas und seine Kollegen während ihrer Dienstzeit bloß der Feind in Uniform. Eine kollektive Zielscheibe.


Der Ausbruch aus dem Alltag


Beschimpfungen wie „Scheiß Bullen“ oder „Verpisst euch, ihr Bullenschweine“ müssen sie sich regelmäßig anhören. Dagegen sind sie machtlos.
„Meistens kommt sowas aus einer Gruppe heraus und kann keiner einzelnen Person zugeordnet werden. Wir fühlen uns davon schon gar nicht mehr beleidigt.“
Spuckattacken sind ebenfalls nichts Ungewöhnliches für ihn. Eher die Tagesordnung, der Ist-Zustand. Lukas ist eben der Feind in Uniform.

„Gewaltbereit ist eine Minderheit von rund zehn Prozent der Besucher. Aber es werden stetig mehr. Diese Randalierer kommen aus allen sozialen Schichten: Vom Versicherungskaufmann bis zum Verkäufer im Supermarkt ist da alles vertreten. Die wollen am Wochenende mal richtig einen drauf machen. Aus dem tristen Alltag entfliehen, damit sie zu Hause was zum Prahlen haben“, so Lukas.
Er und seine Kollegen dienen dann als willkommene Angriffsfläche, als Ventil, um Druck abzulassen. Lukas weiß das. Er kann damit umgehen.

Andere Berufseinsteiger sprühen in ihren Jobs nur so vor Enthusiasmus, Einsatzbereitschaft und Vorfreude für ihre Aufgaben. Nicht so Lukas.
Die Schilderungen seiner Tätigkeiten klingen ungemein distanziert, analytisch, nüchtern, ja geradezu ernüchternd. Fast schon beängstigend gleichgültig. Es scheint so, als sei er schnell auf dem Boden der Tatsachen gelandet, als habe er sich mit den Zuständen rund um die Stadien abgefunden.
Das ist bitter, aber es sagt eine Menge über unser gesellschaftliches Zusammenleben aus.

* Name geändert












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