Dienstag, 11. Dezember 2012

Eine Bahnfahrt, die ist lustig...

Eines muss man der Deutschen Bahn lassen - mit ihr wird es nie langweilig. Bahnfahren ist schließlich wie Lottospielen: Man kauft sich ein Los (hier: eine Fahrkarte), lässt sich überraschen, was als Ergebnis herausspringt und mit ganz viel Glück zieht man den Hauptgewinn. Das heißt in diesem Fall: Die Zugfahrt geht reibungslos und ohne Vorkommnisse vonstatten. Oder aber die Zwischenfälle nehmen dermaßen skurrile Züge an, dass man ein Abenteuer durchlebt, wovon man noch seinen Enkelkindern erzählen wird. Insofern habe ich am Wochenende sechs Richtige plus Superzahl gezogen - Jackpot, Baby!


Der Arsch der Welt


Rzepin ist ein Ort der Kategorie „da wohnt man nicht, da fährt man durch“. Rund 6500 Einwohner leben dort. Totale Dorfidylle im westlichen Polen. Keine 20 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt.
Zugegeben, bis vor wenigen Tagen wusste ich nicht mal, dass der Ort existiert. Und normalerweise wüsste ich es heute immer noch nicht. Normalerweise...
Das Wochenende mit meinem Volo-Kumpel Michael (by the way: der Beinahe-Priester) in Warschau war saugeil. Nun sitzen wir im Warschau-Berlin-Express auf dem Weg nach Frankfurt (Oder). „In 'ner Viertelstunde sind wir da“, sagt Michael. Von wegen. Es sollte der größte Irrtum des Tages werden.
Wir halten gerade planmäßig im Bahnhof von Rzepin. Da meldet sich der polnische Lokführer mit leiser Stimme zu Wort: „Aufgrund eines Unfalls haben wir hier einen Aufenthalt von zwei Stunden“, sagt er sinngemäß. ZWEI Stunden???
Warten im Zug ist öde. Da sind Michael und ich uns schnell einig. Also beschließen wir, mit einem Taxi weiter nach Frankfurt zu fahren, um den Anschlusszug zu erwischen.
Doch nix da: Es fährt kein Taxi. Warum? Die Straßenverhältnisse sind zu prekär.
In Rzepin herrscht Russenkälte: Minusgrade und geschätzte 20 Zentimenter Schnee. Räumfahrzeuge sind Fehlanzeige. Der Straßenverlauf lässt sich bloß durch die Straßenlaternen erahnen.

Der Vettel unter den Busfahrern


Dann naht unsere Rettung: Ein Linienbus, Marke Vorkriegsmodell. Aber wir haben keine Wahl. Also nix wie rein in den Bus in Richtung Slubice. Blöderweise sind wir nicht die einzigen, die auf diese Idee kamen. Und so ist der Bus vollgestopft bis zum letzten Quadratzentimeter.
Allein fünf Personen quetschen sich vorn beim Fahrer. Der kann froh sein, dass er überhaupt noch was von der Straße einsehen kann. Seinem Fahrstil merkt man das nicht an: Eine Hand am Lenkrad, mit der anderen ein Tuch haltend, mit der er die sich ständig beschlagene Frontscheibe wischt, brettert der Busfahrer mit 80 Sachen über die schneebedeckten Landstraßen. Der Mann hat es eilig. Vor ihm „kriecht“ ein Auto auf der Straße. Kurze Lichthupe, dann donnert der Bus am Auto vorbei. Kurz darauf nochmal. Der Typ scheint echt die Ruhe wegzuhaben.
Eine halbe Stunde später sind wir in Slubice. Auch dort fahren keine Taxis. Stichwort Russenkälte.
Also gehen Michael und ich gemeinsam mit knapp einem Dutzend weiterer Busgäste zu Fuß zum Bahnhof nach Frankfurt (Oder). „Das sind bloß 700 Meter“, sagt eine Frau. „Ich kenne mich hier bestens aus.“ Wenig später steht fest: Diese Meinung hat sie exklusiv für sich. Aus 700 Metern wurden fast fünf Kilometer. Knapp daneben ist eben auch vorbei...
Völlig abgekämpft erreichen wir irgendwann tatsächlich den Bahnhof. Ich freue mich wie ein Honigkuchenpferd. Endlich ins Warme und Trockene.


Pleiten, Pech und Pannen


Vor Ort erfahren wir, dass unser Warschau-Berlin-Express immer noch in Rzepin steht. Der Grund: „Personenschaden auf der Strecke“. Doch ein Unglück kommt selten allein. Auf Strecke nach Berlin gibt es auch einen „Personenschaden.“ Na, wunderbar! In letzter Sekunde kann dieser aber beseitigt werden und wir fahren nach Berlin. Planmäßig! Das soll schon was heißen. Es geschehen noch Zeiten und Wunder, denke ich. Denn wir bekommen gerade noch so unseren Anschlusszug, einen ICE nach Hamburg. Aber auch nur, weil der Verspätung hat. Typisch Bahn eben.

Dann der nächste Schlag: „Das Betriebssystem muss aufgrund von Problemen neu gestartet werden. Daher verzögert sich die Abfahrt um einige Minuten“ flötet eine Zugbegleiterin durch das Mikrofon. Zehn Minuten später: Wir stehen immer noch im Berliner Hauptbahnhof. „Der Zug muss resettet werden. Daher gehen jetzt alle Lichter aus und wir bitten Sie, während dieser Zeit nicht die Toilette zu benutzen“, informiert uns die Zugbegleiterin abermals. Mit einer knappen halben Stunde Verspätung fährt der Zug dann los. Später erfahren wir auf Nachfrage, dass die Bahn von dem „plötzlichen“ Kälteeinbruch (Stichwort Russenkälte) überrascht wurde und die Störungen daher rührten. Da kann man echt nur noch den Kopf schütteln. Nicht einmal das bringt mich aus der Ruhe. Bahnfahren macht echt gelassen.
Um kurz nach zwei Uhr in der Nacht erreichen wir Hamburg – mit einer knappen Stunde Verspätung. Und das ganz ohne „Personenschaden“ unterwegs. Blöd nur, dass sämtliche Anschlusszüge jetzt schon weg sind. Und noch blöder, dass ich in acht Stunden arbeiten muss.

Die Bahn: Dein Freund und Helfer


Auf einmal zeigt sich die Bahn von ihrer kulanten Seite: Wegen der ganzen Zwischenfälle bekomme ich eine Taxifahrt von Hamburg nach Eutin von der Bahn spendiert. Das sind immerhin 100 Kilometer für eine Strecke. Aber soll ja nicht mein Problem sein. Apropos Probleme: Von denen gibt es während der Fahrt glücklicherweise keine mehr. Wohlbehalten falle ich um 3.46 Uhr ins Bett. Endlich an der Matratze horchen. Keine Frage, eine aufregende Reise geht zu Ende. Bahnfahren ist eben wie Lottospielen. Mal schaun, ob ich beim nächsten Trip wieder so ein super Los ziehe.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen