Eines muss man der Deutschen Bahn
lassen - mit ihr wird es nie langweilig. Bahnfahren ist schließlich
wie Lottospielen: Man kauft sich ein Los (hier: eine Fahrkarte),
lässt sich überraschen, was als Ergebnis herausspringt und mit ganz
viel Glück zieht man den Hauptgewinn. Das heißt in diesem Fall: Die
Zugfahrt geht reibungslos und ohne Vorkommnisse vonstatten. Oder aber
die Zwischenfälle nehmen dermaßen skurrile Züge an, dass man ein
Abenteuer durchlebt, wovon man noch seinen Enkelkindern erzählen
wird. Insofern habe ich am Wochenende sechs Richtige plus Superzahl
gezogen - Jackpot, Baby!
Der Arsch der Welt
Rzepin ist ein Ort der Kategorie „da
wohnt man nicht, da fährt man durch“. Rund 6500 Einwohner leben
dort. Totale Dorfidylle im westlichen Polen. Keine 20 Kilometer von
der deutschen Grenze entfernt.
Zugegeben, bis vor wenigen Tagen wusste
ich nicht mal, dass der Ort existiert. Und normalerweise wüsste ich
es heute immer noch nicht. Normalerweise...
Das Wochenende mit meinem Volo-Kumpel
Michael (by the way: der Beinahe-Priester) in Warschau war saugeil.
Nun sitzen wir im Warschau-Berlin-Express auf dem Weg nach Frankfurt
(Oder). „In 'ner Viertelstunde sind wir da“, sagt Michael. Von
wegen. Es sollte der größte Irrtum des Tages werden.
Wir halten gerade planmäßig im
Bahnhof von Rzepin. Da meldet sich der polnische Lokführer mit
leiser Stimme zu Wort: „Aufgrund eines Unfalls haben wir hier einen
Aufenthalt von zwei Stunden“, sagt er sinngemäß. ZWEI Stunden???
Warten im Zug ist öde. Da sind Michael
und ich uns schnell einig. Also beschließen wir, mit einem Taxi
weiter nach Frankfurt zu fahren, um den Anschlusszug zu erwischen.
Doch nix da: Es fährt kein Taxi.
Warum? Die Straßenverhältnisse sind zu prekär.
In Rzepin herrscht Russenkälte:
Minusgrade und geschätzte 20 Zentimenter Schnee. Räumfahrzeuge sind
Fehlanzeige. Der Straßenverlauf lässt sich bloß durch die
Straßenlaternen erahnen.
Der Vettel unter den Busfahrern
Dann naht unsere Rettung: Ein
Linienbus, Marke Vorkriegsmodell. Aber wir haben keine Wahl. Also nix
wie rein in den Bus in Richtung Slubice. Blöderweise sind wir nicht
die einzigen, die auf diese Idee kamen. Und so ist der Bus
vollgestopft bis zum letzten Quadratzentimeter.
Allein fünf Personen quetschen sich
vorn beim Fahrer. Der kann froh sein, dass er überhaupt noch was von
der Straße einsehen kann. Seinem Fahrstil merkt man das nicht an:
Eine Hand am Lenkrad, mit der anderen ein Tuch haltend, mit der er
die sich ständig beschlagene Frontscheibe wischt, brettert der
Busfahrer mit 80 Sachen über die schneebedeckten Landstraßen. Der
Mann hat es eilig. Vor ihm „kriecht“ ein Auto auf der Straße.
Kurze Lichthupe, dann donnert der Bus am Auto vorbei. Kurz darauf
nochmal. Der Typ scheint echt die Ruhe wegzuhaben.
Eine halbe Stunde später sind wir in
Slubice. Auch dort fahren keine Taxis. Stichwort Russenkälte.
Also gehen Michael und ich gemeinsam
mit knapp einem Dutzend weiterer Busgäste zu Fuß zum Bahnhof nach
Frankfurt (Oder). „Das sind bloß 700 Meter“, sagt eine Frau.
„Ich kenne mich hier bestens aus.“ Wenig später steht fest:
Diese Meinung hat sie exklusiv für sich. Aus 700 Metern wurden fast
fünf Kilometer. Knapp daneben ist eben auch vorbei...
Völlig abgekämpft erreichen wir
irgendwann tatsächlich den Bahnhof. Ich freue mich wie ein
Honigkuchenpferd. Endlich ins Warme und Trockene.
Pleiten, Pech und Pannen
Vor Ort erfahren wir, dass unser
Warschau-Berlin-Express immer noch in Rzepin steht. Der Grund:
„Personenschaden auf der Strecke“. Doch ein Unglück kommt selten
allein. Auf Strecke nach Berlin gibt es auch einen „Personenschaden.“
Na, wunderbar! In letzter Sekunde kann dieser aber beseitigt werden
und wir fahren nach Berlin. Planmäßig! Das soll schon was heißen.
Es geschehen noch Zeiten und Wunder, denke ich. Denn wir bekommen
gerade noch so unseren Anschlusszug, einen ICE nach Hamburg. Aber
auch nur, weil der Verspätung hat. Typisch Bahn eben.
Dann der nächste Schlag: „Das
Betriebssystem muss aufgrund von Problemen neu gestartet werden.
Daher verzögert sich die Abfahrt um einige Minuten“ flötet eine
Zugbegleiterin durch das Mikrofon. Zehn Minuten später: Wir stehen
immer noch im Berliner Hauptbahnhof. „Der Zug muss resettet werden.
Daher gehen jetzt alle Lichter aus und wir bitten Sie, während
dieser Zeit nicht die Toilette zu benutzen“, informiert uns die
Zugbegleiterin abermals. Mit einer knappen halben Stunde Verspätung
fährt der Zug dann los. Später erfahren wir auf Nachfrage, dass die
Bahn von dem „plötzlichen“ Kälteeinbruch (Stichwort
Russenkälte) überrascht wurde und die Störungen daher rührten. Da
kann man echt nur noch den Kopf schütteln. Nicht einmal das bringt
mich aus der Ruhe. Bahnfahren macht echt gelassen.
Um kurz nach zwei Uhr in der Nacht
erreichen wir Hamburg – mit einer knappen Stunde Verspätung. Und
das ganz ohne „Personenschaden“ unterwegs. Blöd nur, dass
sämtliche Anschlusszüge jetzt schon weg sind. Und noch blöder,
dass ich in acht Stunden arbeiten muss.
Die Bahn: Dein Freund und Helfer
Auf einmal zeigt sich die Bahn von
ihrer kulanten Seite: Wegen der ganzen Zwischenfälle bekomme ich
eine Taxifahrt von Hamburg nach Eutin von der Bahn spendiert. Das
sind immerhin 100 Kilometer für eine Strecke. Aber soll ja nicht
mein Problem sein. Apropos Probleme: Von denen gibt es während der
Fahrt glücklicherweise keine mehr. Wohlbehalten falle ich um 3.46
Uhr ins Bett. Endlich an der Matratze horchen. Keine Frage, eine
aufregende Reise geht zu Ende. Bahnfahren ist eben wie Lottospielen.
Mal schaun, ob ich beim nächsten Trip wieder so ein super Los ziehe.
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