Freitag, 16. November 2012

Der Beinahe-Priester

In Deutschland leben rund 82 Millionen Menschen. Das sind 82 Millionen ganz individuelle Lebensgeschichten. Und jede einzelne davon ist auf ihre Weise unglaublich spannend und faszinierend.
Eine davon gehört zu Michael. Einem Exoten. Zweifelsohne. Bis August letzten Jahres hatte Michael ein Ziel, eine Berufung, einen Traum: Pfarrer werden. Heute ist er Volontär beim Schleswig-Holsteinischen-Zeitungsverlag. Auf dem Weg zum Redakteur. Was ist in der Zwischenzeit passiert? Und wie kommt ein so junger Kerl überhaupt auf die Idee, Pfarrer zu werden?


„Es war fünf vor zwölf“, sagt Michael, 26, über die Situation im Sommer 2011. Damals war er nur noch einen kleinen Schritt entfernt. Entfernt vom Leben als katholischer Priester. Klingt blöd, ist aber wahr.
Das Theologie-Studium war gerade beendet. „Das war gleichzeitig der theoretische Teil der Priester-Ausbildung“, berichtet Michael. Nun folgt das praktische Pendant dazu, das Priesterseminar. Sozusagen der letzte Feinschliff. Letzte Vorbereitungen auf das Priesterleben.
Doch Michael bekam kalte Füße - im letzten Moment. So ein Leben passt nicht zu ihm. Dem offenenherzigen und symphatischen Sauerländer.

Reduziert auf ein Rollenbild


Er fühlte sich eingeengt. Reduziert. Auf seine Rolle als Priester in spe. „Alle Leute sahen in mir nur noch den Geistlichen, nicht mehr die Person dahinter. Sobald ich mich mit Leuten aus meinem Umfeld unterhielt oder mit Bekannten unterwegs war, wurde ich ständig auf meine zukünfige Rolle angesprochen und sollte mit ihnen über Glaubensfragen quatschen.“ Der Mensch Michael existierte für sie nicht mehr. Nur noch der „Priester Michael“. Wie eine Schablone klebte diese Rolle an ihm. Von Tag zu Tag mehr.
Fair ist das nicht. Und das wird ihm auch nicht gerecht. Michael lässt sich nicht in dieses Rollenbild eines Priesters drängen. Als jemand, der wie vom Glauben benebelt in seiner eigenen Welt lebt. Als jemand, der dank des Glaubens über den Ereignissen um ihn herum schwebt. Nein, so ist Michael ganz gewiss nicht. Er ist einfach ein ganz normaler junger Mann. So wie du und ich. Völlig unauffällig. Seine Vorlieben: Partys, Computer, Fitnesstraining. Er trägt bunte Chucks, lässige Jeans und stylisches Shirt. Kein Gottesdienstgewand.

Keine einfache Entscheidung


Da passt es ins Bild, dass er mit einigen Ansichten der Kirche auf Kriegsfuß steht.
„Ich habe gemerkt, dass ich nicht alle Positionen der Kirche vertreten kann. Für mich ist Homosexualität keine Krankheit und von einem Sexverbot vor der Ehe halte ich auch nix. Im Gegenteil: Aus der Bibel lässt sich sogar ableiten, dass Sex auch bei Verlobten gestattet war.“
Auch das war ein Grund, nicht Priester zu werden: „Ich kann doch nicht mein Leben lang für irgendwelche Ansichten einstehen, die ich persönlich nicht vertrete.“ Späte Einsicht. Aber immer noch besser als keine Einsicht. Und vor allem eines: Ein verdammt mutiger Schritt.
Bis dahin, bis zum letzten Jahr, verlief sein Weg völlig linear. Ohne Umwege. Sein Berufswunsch bestimmte früh sein Leben. Ob als Messdiener, Küster oder in der Jugendgruppe – Michael brachte sich früh in die Gemeindearbeit ein.

Frühe Einbindung in die Gemeinde


Mit 12 Jahren begann er während des Sonntagsgottesdienst regelmäßig Orgel in seiner Heimatgemeinde zu spielen. Andere müssen dafür 30, 40 Jahre länger warten.
Längere Beziehungen mit Mädels hatte er nie. Wollte er auch gar nicht. Schließlich hätte er später auch abstinent leben müssen. Dass die Wahl nach dem Abitur auf ein Theologie-Studium fiel, war nicht überraschend. Vielmehr die logische Konsequenz. Doch dann kamen die ersten Zweifel. „Meine Kommilitonen waren total fokussiert auf die Glaubenslehre und unterhielten sich auch in ihrer Freizeit über nichts anderes. Das ist überhaupt nicht meine Welt, ich will auch mal Spaß haben.“





Die ersten Zweifel


Kontakt zu anderen Studenten? Fehlanzeige. Die katholische Fakultät in Paderborn, an der Michael studierte, ist vom restlichen Studentenleben abgeschnitten. Die Zweifel wachsen langsam.
Während des Auslandsjahrs in Polen folgte der Bruch. „Dort war ich mit Kommilitonen verschiedenster Studiengänge zusammen. Ich konnte mich mit ihnen austauschen, anfreunden und alles tun, was man in dem Alter sonst so macht.“
Die innere Überzeugung, sein Leben in den Dienst der Kirche zu stellen, war ihm abhandengekommen. Dann eine Auszeit. Wieder ins Ausland. Wieder ein Jahr. Dieses Mal Brasilien. Danach war er sich sicher: „Priester ist doch nicht meine Berufung.“ Der Kirche bleibt Michael dennoch treu. „Der Glaube in der weltweiten Gemeinschaft ist mir wichtig. Egal, wo ich hinkomme und wo ein katholischer Gottesdienst gefeiert wird, die Abläufe sind immer identisch. Oder zumindest sehr ähnlich. So gibt mir die Kirche überall ein Stück Heimat. Egal, wo ich gerade bin.“


Immer locker durch die Hose atmen ;)


Was aber tun, wenn nicht Priester werden? Michael verfällt nicht in Panik. Passt gar nicht zu ihm. Immer locker bleiben. Und so erinnerte er sich an seine alten Stärken. Ans Schreiben. Das konnte er schon in der Schule weit überdurchschnittlich gut. Es folgten Praktika und freie Mitarbeiten. Und dann der Wechsel zum Schleswig-Holsteinischen-Zeitungsverlag. Gott sei Dank. Denn sonst hätten wir uns wahrscheinlich nie kennen gelernt. 

 

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