In Deutschland leben rund 82 Millionen
Menschen. Das sind 82 Millionen ganz individuelle Lebensgeschichten.
Und jede einzelne davon ist auf ihre Weise unglaublich spannend und
faszinierend.
Eine davon gehört zu Michael. Einem
Exoten. Zweifelsohne. Bis August letzten Jahres hatte Michael ein
Ziel, eine Berufung, einen Traum: Pfarrer werden. Heute ist er
Volontär beim Schleswig-Holsteinischen-Zeitungsverlag. Auf dem Weg
zum Redakteur. Was ist in der Zwischenzeit passiert? Und wie kommt
ein so junger Kerl überhaupt auf die Idee, Pfarrer zu werden?
„Es war fünf vor zwölf“, sagt
Michael, 26, über die Situation im Sommer 2011. Damals war er nur
noch einen kleinen Schritt entfernt. Entfernt vom Leben als
katholischer Priester. Klingt blöd, ist aber wahr.
Das Theologie-Studium war gerade
beendet. „Das war gleichzeitig der theoretische Teil der
Priester-Ausbildung“, berichtet Michael. Nun folgt das praktische
Pendant dazu, das Priesterseminar. Sozusagen der letzte Feinschliff.
Letzte Vorbereitungen auf das Priesterleben.
Doch Michael bekam kalte Füße - im
letzten Moment. So ein Leben passt nicht zu ihm. Dem offenenherzigen
und symphatischen Sauerländer.
Reduziert auf ein Rollenbild
Er fühlte sich eingeengt. Reduziert.
Auf seine Rolle als Priester in spe. „Alle Leute sahen in mir nur
noch den Geistlichen, nicht mehr die Person dahinter. Sobald ich mich
mit Leuten aus meinem Umfeld unterhielt oder mit Bekannten unterwegs
war, wurde ich ständig auf meine zukünfige Rolle angesprochen und
sollte mit ihnen über Glaubensfragen quatschen.“ Der Mensch
Michael existierte für sie nicht mehr. Nur noch der „Priester
Michael“. Wie eine Schablone klebte diese Rolle an ihm. Von Tag zu
Tag mehr.
Fair ist das nicht. Und das wird ihm
auch nicht gerecht. Michael lässt sich nicht in dieses Rollenbild
eines Priesters drängen. Als jemand, der wie vom Glauben benebelt in
seiner eigenen Welt lebt. Als jemand, der dank des Glaubens über den
Ereignissen um ihn herum schwebt. Nein, so ist Michael ganz gewiss
nicht. Er ist einfach ein ganz normaler junger Mann. So wie du und
ich. Völlig unauffällig. Seine Vorlieben: Partys, Computer, Fitnesstraining. Er trägt bunte Chucks, lässige Jeans und
stylisches Shirt. Kein Gottesdienstgewand.
Keine einfache Entscheidung
Da passt es ins Bild, dass er mit
einigen Ansichten der Kirche auf Kriegsfuß steht.
„Ich habe gemerkt, dass ich nicht
alle Positionen der Kirche vertreten kann. Für mich ist
Homosexualität keine Krankheit und von einem Sexverbot vor der Ehe
halte ich auch nix. Im Gegenteil: Aus der Bibel lässt sich sogar
ableiten, dass Sex auch bei Verlobten gestattet war.“
Auch das war ein Grund, nicht Priester
zu werden: „Ich kann doch nicht mein Leben lang für irgendwelche
Ansichten einstehen, die ich persönlich nicht vertrete.“ Späte
Einsicht. Aber immer noch besser als keine Einsicht. Und vor allem
eines: Ein verdammt mutiger Schritt.
Bis dahin, bis zum letzten Jahr,
verlief sein Weg völlig linear. Ohne Umwege. Sein Berufswunsch
bestimmte früh sein Leben. Ob als Messdiener, Küster oder in der
Jugendgruppe – Michael brachte sich früh in die Gemeindearbeit
ein.
Frühe Einbindung in die Gemeinde
Mit 12 Jahren begann er während des
Sonntagsgottesdienst regelmäßig Orgel in seiner Heimatgemeinde zu
spielen. Andere müssen dafür 30, 40 Jahre länger warten.
Längere Beziehungen mit Mädels hatte
er nie. Wollte er auch gar nicht. Schließlich hätte er später auch
abstinent leben müssen. Dass die Wahl nach dem Abitur auf ein
Theologie-Studium fiel, war nicht überraschend. Vielmehr die
logische Konsequenz. Doch dann kamen die ersten Zweifel. „Meine
Kommilitonen waren total fokussiert auf die Glaubenslehre und
unterhielten sich auch in ihrer Freizeit über nichts anderes. Das
ist überhaupt nicht meine Welt, ich will auch mal Spaß haben.“
Die ersten Zweifel
Kontakt zu anderen Studenten?
Fehlanzeige. Die katholische Fakultät in Paderborn, an der Michael
studierte, ist vom restlichen Studentenleben abgeschnitten. Die
Zweifel wachsen langsam.
Während des Auslandsjahrs in Polen
folgte der Bruch. „Dort war ich mit Kommilitonen verschiedenster
Studiengänge zusammen. Ich konnte mich mit ihnen austauschen,
anfreunden und alles tun, was man in dem Alter sonst so macht.“
Die innere Überzeugung, sein Leben in
den Dienst der Kirche zu stellen,
war ihm abhandengekommen. Dann eine Auszeit. Wieder ins
Ausland. Wieder ein Jahr. Dieses Mal Brasilien. Danach war er sich
sicher: „Priester ist doch nicht meine Berufung.“ Der Kirche
bleibt Michael dennoch treu. „Der Glaube in der weltweiten Gemeinschaft ist
mir wichtig. Egal, wo ich hinkomme und wo ein katholischer
Gottesdienst gefeiert wird, die Abläufe sind immer identisch. Oder
zumindest sehr ähnlich. So gibt mir die Kirche überall ein Stück
Heimat. Egal, wo ich gerade bin.“
Immer locker durch die Hose atmen ;)
Was aber tun, wenn nicht Priester
werden? Michael verfällt nicht in Panik. Passt gar nicht zu ihm.
Immer locker bleiben. Und so erinnerte er sich an seine alten
Stärken. Ans Schreiben. Das konnte er schon in der Schule weit
überdurchschnittlich gut. Es folgten Praktika und freie Mitarbeiten.
Und dann der Wechsel zum Schleswig-Holsteinischen-Zeitungsverlag.
Gott sei Dank. Denn sonst hätten wir uns wahrscheinlich nie kennen
gelernt.
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