Woran erkennt man einen weisen Mann? Richtig, an seinem
biblischen Alter, seinen grauen-weißen Haaren und seinen neunmalklugen
Sprüchen. Ersteres trifft auf meinen
Chef zwar (noch) nicht zu, aber was sein Haar angeht, gibt es selbst unter
Farbenblinden keine zwei Meinungen.
Auch am Weisheits-Niveau seiner Sprüche gibt
es nichts zu deuteln . Aus seinem Mund stammt der sinngemäße Satz
„Termin-Journalismus ist nicht ganz ungefährlich, weil uns Journalisten oft
eine Wahrheit vorgegaukelt wird.“ Und Recht hat der gute Mann.
Die Mär vom spendablen Mäzen
Diese Erfahrung
habe auch ich kürzlich gemacht: Da hat sich der Senior-Chef eines großen
deutschen Unternehmens quasi zum Mäzen eines ganzen Bundeslandes aufgeschwungen
und spendierte meiner neuen Heimatstadt eine 15 Meter hohe Nordmanntanne.
Die
darf während der Weihnachtszeit den Marktplatz zieren. Und weil es dem
romantischen Bild des spendablen Mäzens entspricht, stammt dieses Prachtexemplar von Tanne
natürlich aus dessen naturbelassenem Forst. Das jedenfalls impften mir sein
Pressesprecher und dessen Gehilfe während des Baumaufbaus wie einem
Demenzkranken wieder und wieder ein.
Und dies mit so viel überschwänglichem Lob
und schmalzigem Kitsch versehen, dass es für mindestens zwei
Rosamunde-Pilcher-Filme reichen würde. Immerhin weiß ich seitdem, dass Männer
auch multiple Orgasmen bekommen können – und das ganz ohne Sex.
Wahrheit währt am längsten
Blöd nur, dass der Höhepunkt offenbar zu früh kam: Denn am
Nachmittag ruft ein Mann (der erfrischend nüchtern-sachlich klang) in der Redaktion an
und wütet wie die Axt im Walde in der rosaroten Nordmanntannen-Welt des erwähnten
Pressesprechers.
Mit anderen Worten: Er wolle mitteilen, dass die Tanne gar
nicht aus dem Mäzen-Forst stammt, sondern aus seinem Garten. Er habe aber dem
Mäzen erlaubt, den Baum zu fällen, um ihn als großzügige eigene Spende meiner
neuen Heimatstadt zu vermachen.
Interessant… Auf
diesen Fauxpas angesprochen, weiß der Pressesprecher von nichts. Welch
Überraschung!
Sein Gehilfe, der beim Baumaufstellen in ähnlicher Manier von der
Prachttanne schwärmte, ist am Telefon geschwätziger: Merklich bedröppelt räumt
er ohne Umschweife ein, dass die Tanne tatsächlich aus dem Garten des Anrufers
stammt. So was aber auch.
Und es kommt noch besser: Keine fünf Minuten später
ruft er mich an: „Mir ist da noch etwa eingefallen…“ Aha!
Keine fünf Minuten
später ruft er ein zweites Mal an: „Wo ich schon dabei bin, will ich doch die
ganze Wahrheit erzählen.“ Wird ja immer besser.
Ende vom Lied: Ich darf den
ganzen Artikel an verschiedenen Stellen überarbeiten, er gleicht danach einem
Flickenteppich. Das ist ärgerlich, aber dafür entsprechen nun alle Infos (hoffentlich)
der Wahrheit. Und nicht nur der Wahrheit, die mir und den Lesern vorgegaukelt
werden sollte.