Montag, 16. September 2013

Ohne Rücksicht auf Verluste

Peer Steinbrück kann aufatmen. Nein, die Bundestagswahl hat er noch nicht überstanden. Aber wenigstens ist nur eine knappe Woche nach Bekanntwerden des Erpressung-Versuches die Sache aufgeklärt. Der mutmaßliche Täter hat sich der Polizei gestellt. Und er scheint mit einem blauen Auge davonzukommen, schließlich ermittelt die Staatsanwaltschaft laut Süddeutscher Zeitung lediglich wegen „versuchter Nötigung.“ Also Ende gut, alles gut? Von wegen! Denn der Umgang der Medien mit der Identität des vermeintlichen Erpressers ist alles andere als vorbildlich.

Intimsphäre über Nacht verloren


Der Name Hermann Ude war bis zum Wochenende den wenigsten bekannt. Weit gefehlt, wer dachte er der kleine Bruder des Münchener Oberbürgermeisters sei. Nun wissen wir, dass Ude 52 Jahre alt ist, ehemals Büroleiter des wegen Steuerhinterziehung zurückgetretenen Post-Chefs Klaus Zumwinkel, dann bis 2011 Vorstandsmitglied der Post war, das Unternehmen überraschend verließ und er die Steinbrücks kennt: Seine Kinder besuchten jene Schule, an der Steinbrücks Frau bis zum Sommer unterrichtete. Wie Ude aussieht, wissen wir dank Focus Online nun auch. Klasse, die Leser dürften zufrieden sein.

So berichtete Focus Online über Hermann Ude.
Aber sind all diese Informationen überhaupt für die Öffentlichkeit relevant? Hätte es nicht gereicht mitzuteilen, dass es sich bei dem Erpresser um ein ehemaliges Vorstandsmitglied der Post handelt – auch wenn er eine Person des öffentlichen Lebens ist oder war? Wird dem Beschuldigten durch diese identifizierende Berichterstattung langfristiger Schaden in seinem sozialen und beruflichen Umfeld zugefügt? Diese Fragen haben sich offenbar die allerwenigsten Medien gestellt. Obwohl dies bitter nötig gewesen wäre. Wer einmal ins mediale Kreuzfeuer geraten ist, ob zurecht, unzurecht oder gar irrtümlich, wird es sehr schwer haben, seinen Ruf jemals wieder herzustellen. Jörg Kachelmann kann ein Lied davon singen.

Kapitalismus kommt vor Moral

Egal, ob Süddeutsche Zeitung, Spiegel Online, Bild Online, Focus Online oder gar tagesschau.de – sie alle haben zumindest den Namen des vermeintlichen (!) Erpressers erwähnt, fast alle sogar noch weitere Details aus Udes Lebenslauf ausgeplaudert. Und damit haben selbst die seriösen Vertreter der Branche sämtliche medienethische Maßstäbe über Bord geworfen, getreu dem Motto: Hauptsache, die Kasse klingelt oder die Klickzahlen stimmen. Denn mit dieser Art Journalismus wird der menschliche Voyeurismus-Trieb. Natürlich wollen die Leser oder Zuschauer erfahren, wer die Person ist, die Steinbrück so kurz vor der Wahl erpresst hat. Die Faustformel für die Medien ist daher ganz einfach: Je mehr Infos sie von dem Erpresser preisgeben, desto attraktiver machen sie sich für die Rezipienten. Fehlt nur noch, dass die Medien Udes Postanschrift, seine Hobbys und Schuhgröße publik machen.

Besorgniserregend aber ist, dass der Fall „Ude“ keinesfalls ein Novum darstellt oder die absolute Ausnahme. In Zeiten dramatisch sinkender Auflagenzahlen bei den Zeitungen und dem knallharten Kampf um Leser auf dem Online-Markt sind journalistische Grundsätze anscheinend zunehmend weniger wert. Das ist kein gutes Zeichen für den Qualitätsjournalismus.

Gesetze und Richtlinien mit Füßen getreten

Dabei hätte ein kurzer Blick ins Grundgesetz genügt. Dort ist in Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 vom Persönlichkeitsrecht die Rede. Und davon, dass der persönlichen Lebensbereich einer Person besonders sensibel und dementsprechend schutzbedürftig ist. Klingt spießig und staubtrocken, ist aber ungemein wichtig. Denn nur unter gewissen Umständen sind Eingriffe, gerade von den Medien, in diesen Bereich gerechtfertigt. Das gilt übrigens auch für Straftäter .Das sieht auch der Presserat so. Wörtlich heißt es dort in einem anderen Fall vor zwei Jahren: „Die Identität eines Straftäters ist grundsätzlich zu schützen. Nur in Ausnahmefällen darf die Identität eines mutmaßlichen Täters [und genau das ist Hermann Ude, Anmerkung: Käfer klotzt] in der Berichterstattung preisgegeben werden.
Dabei ist zwischen dem Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit und dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen abzuwägen.“ Abwägen??? Dieses Wort haben die Massenmedien im Fall „Ude“ mal schnell aus ihrem Vokabular gestrichen. Das sollten sie schleunigst wieder ändern, ansonsten drohen sie ihren Ruf zu verspielen. Und  vielen anderen Bürgern, die ins Visier der Justiz geraten sind, egal ob zurecht oder nicht, droht ein böses Erwachen.

 
 

Mittwoch, 11. September 2013

Eine Branche steht am Abgrund

Ich kaufe mir gleich einen Strick“, flüstere ich süffisant meinem Sitznachbarn zu. „Aber nur den günstigen, für die besseren fehlt das Geld.“ Anders als mit Galgenhumor ist die Situation nicht zu ertragen. Die Stimmung ist gedämpft beim Medienseminar der Bundeszentrale für politische Bildung für Nachwuchsjournalisten, geradezu bedrückt.
Wenig überraschend bei dem Titel der Veranstaltung: „Wer finanziert den Journalismus von morgen?“ Diese Frage ist derzeit die wohl wichtigste in der Branche, sie ist allgegenwärtig, sie brennt uns Journalisten unter den Nägeln. Und das gerade deshalb, weil es keine Antworten auf diese Frage gibt. Noch nicht jedenfalls.

Die Krise ist hausgemacht

Im schlimmsten Fall ist der Journalismus in einigen Jahren tot, sagt Michael Konken, Chef des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), wenn nicht bald ein Ruck durch die Gesellschaft gehe.  Aber wo soll der herkommen? Schließlich hat die Branche den Karren selber in den Dreck gezogen. Bislang kommt sie dort nicht wieder heraus.
Da zahlen Abonnenten Tag für Tag Geld für ein Produkt, für ihre Zeitung, die meistens qualitativ hochwertig ist. Gleichzeitig werden große Teile exakt dieses Produktes im Internet angeboten, für alle versteht sich. Und das zum Nulltarif. Und das seit fast zehn Jahren, bis es auch die Letzten gemerkt haben. Für die Nutzer ist das klasse, für die Journalisten ist das existenzgefährdend.

Der Journalismus droht zu verbluten


Also was tun? Eine Bezahlschranke, die Pay-Wall, einführen, sodass Artikel im Netz nur gegen Bezahlung zugänglich gemacht werden? Bringt nichts, zumindest gegenwärtig, weil nicht alle Nachrichtenanbieter mitziehen und die Leser ihre Informationen aus anderen Kanälen generieren. Sie sind zu lange verwöhnt worden von den Verlagen. Also was tun? Gute Frage. Alle tappen noch im Dunkeln bei der Suche nach Lösungen.

Darunter zu leiden haben die Journalisten. Egal, wo man sich in Deutschland umschaut, die Verlage stellen kaum noch Journalisten ein, unbefristet schon gar nicht, im Gegenteil: Sie bauen Stellen ab, ganze Redaktionen, ja Zeitungen, verschwinden von der Bildfläche. DJV-Chef Konken: „Die Zahl der freien Journalisten in Deutschland hat in den letzten zehn Jahren um 50 Prozent zugenommen.“
Viele davon kämpfen ums nackte Überleben auf einem schwer ausrechenbaren Markt. Tag für Tag. Und diejenigen, die in den Redaktionen bleiben dürfen, sollen mit immer weniger Kollegen immer bessere Arbeit abliefern. Paradox! Also was tun? So genau weiß das derzeit niemand. Und genau das ist das Problem.