Intimsphäre über Nacht verloren
Der Name Hermann Ude war bis zum Wochenende den wenigsten bekannt. Weit gefehlt, wer dachte er der kleine Bruder des Münchener Oberbürgermeisters sei. Nun wissen wir, dass Ude 52 Jahre alt ist, ehemals Büroleiter des wegen Steuerhinterziehung zurückgetretenen Post-Chefs Klaus Zumwinkel, dann bis 2011 Vorstandsmitglied der Post war, das Unternehmen überraschend verließ und er die Steinbrücks kennt: Seine Kinder besuchten jene Schule, an der Steinbrücks Frau bis zum Sommer unterrichtete. Wie Ude aussieht, wissen wir dank Focus Online nun auch. Klasse, die Leser dürften zufrieden sein.
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So berichtete Focus Online über Hermann Ude. |
Kapitalismus kommt vor Moral
Egal, ob Süddeutsche Zeitung, Spiegel Online, Bild Online,
Focus Online oder gar tagesschau.de – sie alle haben zumindest den Namen des vermeintlichen
(!) Erpressers erwähnt, fast alle sogar noch weitere Details aus Udes
Lebenslauf ausgeplaudert. Und damit haben selbst die seriösen Vertreter der
Branche sämtliche medienethische Maßstäbe über Bord geworfen, getreu dem Motto:
Hauptsache, die Kasse klingelt oder die Klickzahlen stimmen. Denn mit dieser
Art Journalismus wird der menschliche Voyeurismus-Trieb. Natürlich wollen die
Leser oder Zuschauer erfahren, wer die Person ist, die Steinbrück so kurz vor
der Wahl erpresst hat. Die Faustformel für die Medien ist daher ganz einfach:
Je mehr Infos sie von dem Erpresser preisgeben, desto attraktiver machen sie
sich für die Rezipienten. Fehlt nur noch, dass die Medien Udes Postanschrift,
seine Hobbys und Schuhgröße publik machen.
Besorgniserregend aber ist, dass der Fall „Ude“ keinesfalls
ein Novum darstellt oder die absolute Ausnahme. In Zeiten dramatisch sinkender
Auflagenzahlen bei den Zeitungen und dem knallharten Kampf um Leser auf dem
Online-Markt sind journalistische Grundsätze anscheinend zunehmend weniger
wert. Das ist kein gutes Zeichen für den Qualitätsjournalismus.
Gesetze und Richtlinien mit Füßen getreten
Dabei hätte ein kurzer Blick ins Grundgesetz genügt. Dort
ist in Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 vom Persönlichkeitsrecht
die Rede. Und davon, dass der persönlichen Lebensbereich einer Person besonders
sensibel und dementsprechend schutzbedürftig ist. Klingt spießig und
staubtrocken, ist aber ungemein wichtig. Denn nur unter gewissen Umständen sind
Eingriffe, gerade von den Medien, in diesen Bereich gerechtfertigt. Das gilt
übrigens auch für Straftäter .Das sieht auch der Presserat so. Wörtlich heißt
es dort in einem anderen Fall vor zwei Jahren: „Die Identität eines Straftäters
ist grundsätzlich zu schützen. Nur in Ausnahmefällen darf die Identität eines
mutmaßlichen Täters [und genau das ist Hermann Ude, Anmerkung: Käfer klotzt] in
der Berichterstattung preisgegeben werden.
Dabei ist zwischen dem
Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit und dem Persönlichkeitsrecht des
Betroffenen abzuwägen.“ Abwägen??? Dieses Wort haben die Massenmedien im Fall
„Ude“ mal schnell aus ihrem Vokabular gestrichen. Das sollten sie schleunigst
wieder ändern, ansonsten drohen sie ihren Ruf zu verspielen. Und vielen anderen Bürgern, die ins Visier der
Justiz geraten sind, egal ob zurecht oder nicht, droht ein böses Erwachen.